Das Thema Saatgutvielfalt und Saatguterhalt liegt uns besonders am Herzen, da ein Großteil des weltweit kommerziell verfügbaren Saatguts sich bereits heute in den Händen weniger Konzerne befindet. Durch diese Kommerzialisierung des Saatguts sind bereits viele historische Kulturpflanzen verloren gegangen. Das bedeutet natürlich zeitgleich: immer weniger Vielfalt auf unseren Tellern. Daher müssen wir dringend handeln, damit es anderen, nicht kommerziell zugelassenen Sorten, die noch von privaten Züchtern und Züchertinnen erhalten werden, in Zukunft nicht genauso ergeht.
Zum Glück gibt es tolle Projekte und Vereine, die sich für den Erhalt der Vielfalt in unseren Gärten und auf unserem Tellern stark machen. Eine der Initiativen, Open Source Seeds, möchten wir euch heute in einem Interview genauer vorstellen. Dabei soll es natürlich auch um die Frage gehen, wie wir uns gemeinsam für den Erhalt noch vorhandener Sorten stark machen können.
Schaut bei Instagram und Facebook vorbei, dort haben wir weitere Infos & Tipps rund um das Thema Saatgut für euch! Nun aber erst einmal viel Spaß mit dem Interview mit Open Source Seeds!
Open Source Saatgut? Was bedeutet das überhaupt?
- Alle dürfen Open-Source Saatgut nutzen, also anbauen, vermehren, züchterisch bearbeiten sowie im Rahmen bestehender Gesetze verkaufen, tauschen und verschenken.
- Niemand darf das Saatgut und seine Weiterentwicklungen privatisieren. Patent- und Sortenschutz sind also ausgeschlossen.
- Zukünftigen Empfängern und Empfängerinnen werden die gleichen Rechte und Pflichen übertragen.
Hallo Bella, danke, dass du dir Zeit für unser Interview nimmst.
Stell dich und das Projekt OpenSourceSeeds kurz vor.
Ich habe Biologie studiert und dabei gelernt, dass Vielfalt überlebenswichtig ist – für die Natur genauso wie für den Menschen. Vielen ist nicht bewusst, dass widerstands- und anpassungsfähige Sorten mit die wichtigste Voraussetzung für eine nachhaltige Landwirtschaft sind. Das betrifft uns in Deutschland, ist aber auch global wichtig, um Ernteausfälle zu minimieren und so Hungersnöte zu verhindern.
Seit es Ackerbau gibt, haben Bäuerinnen und Bauern Saatgut frei ausgesät, gezüchtet und gehandelt und so eine reiche Kulturpflanzenvielfalt geschaffen. Leider ist in den letzten hundert Jahren viel von diesem Erbe verloren gegangen, in den Industrieländern bis zu 90 % der Sorten. Das hängt damit zusammen, dass heute weltweit das meiste kommerzielle Saatgut von wenigen Großkonzernen kontrolliert wird. Für diese ist es wirtschaftlich sinnvoll, ein paar wenige einheitliche Sorten zu verkaufen, zu denen sie die passenden Dünger und Pestizide gleich mitliefern können.
Aber wir brauchen genau das Gegenteil: Unabhängige Züchterinnen und Züchter, die Kulturpflanzen weiterentwickeln und dabei auf Vielfalt setzen. Die so entstehenden Sorten lassen sich nicht auf der ganzen Welt verkaufen. Dafür sind sie an die besonderen Bedingungen ihres Standorts angepasst, können Wasser und Nährstoffe besser nutzen und brauchen weniger Chemie.
Voraussetzung für diese Züchtung ist der freie Zugang zu Saatgut als Zuchtmaterial, und hier kommen wir ins Spiel. Saatgut unterliegt nämlich oft geistigen Eigentumsrechten wie Patenten, die diesen Zugang beschränken. Wir setzen uns daher dafür ein, Saatgut wieder zu dem Gemeingut zu machen, das es Jahrtausende lang war. Damit wir unsere Landwirtschaft fit für die Zukunft machen können, aber auch, damit nicht Wenige kontrollieren, was der Rest der Menschheit auf den Teller bekommt.
Warum ist die Lizensierung von Open Source Saatgut so wichtig?
Es gibt viele Züchterinnen und Züchter, die Sortenschutz und Patente ablehnen und ihre Sorten als Gemeingut verstehen. In vielen Ländern wird Saatgut tatsächlich auch immer noch auf lokalen Märkten oder unter Nachbarn getauscht, und niemand käme auf die Idee, das zu ändern. Das Problem dabei ist, dass Gemeingüter geschützt werden müssen, wenn sie erhalten bleiben sollen. Ansonsten kann jeder kommen und eine Sorte, die ihm gefällt, einfach nehmen, daran etwas weiterzüchten und zu seinem geistigen Eigentum erklären. Das passiert andauernd, häufig in Ländern des Globalen Südens. Der ursprüngliche Züchter wird natürlich nicht am Gewinn durch den Verkauf der Sorte beteiligt und darf sie theoretisch ohne Erlaubnis des neuen Rechteinhabers nicht einmal mehr selbst verwenden. Die von uns entwickelte Open Source Lizenz verhindert das. Eine lizenzierte Sorte darf weiterhin frei angebaut, getauscht und gezüchtet werden – das einzige, was verboten ist, ist Privatisierung. Und das gilt auch für alle Nachkommen des ursprünglichen Saatguts.
Was sind die größten Hürden bei der Lizensierung?
Eine Frage, die uns immer wieder gestellt wird, lautet: Wer soll das bezahlen? Sortenschutzgebühren sind zwar vor allem für große Konzerne eine wichtige Einnahmequelle, die wenige Sorten massenhaft verkaufen. Für kleine ZüchterInnen und Züchter sind die Erlöse durch geistige Eigentumsrechte sehr gering und reichen für den Lebensunterhalt als ZüchterIn nicht aus. Trotzdem fällt es vielen schwer, darauf zu verzichten, wenn sie ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen. Denn obwohl die Nachfrage nach neuen Sorten für die ökologische Landwirtschaft riesig ist, sind Züchterinnen und Züchter chronisch unterfinanziert.
Um sie trotzdem von der Idee des open-source Saatguts zu überzeugen, müssen andere Finanzierungskonzepte her. Dazu gibt es inzwischen viele gute Ideen, die teilweise auch schon in der Praxis umgesetzt werden.
Ist es auch als Hobby-GärtnerIn möglich, eine gemeinnützige Sorte zu lizensieren?
Auf jeden Fall. Jeder und jede kann eine Sorte bei uns lizensieren lassen. Ein unkompliziertes Formular dazu gibt es auf unserer Internetseite. Den Papierkram erledigen wir und nehmen die neue Sorte dann in unsere Galerie auf.
Können nur neue Sorten zugelassen werden? Oder ist es z.B. auch möglich historische, fast komplett in Vergessenheit geratene Sorten, die seit Jahrzehnten ausschließlich in privaten Gärten kultiviert werden, zuzulassen?
Auch sogenannte Erhaltungssorten können open-source lizensiert werden, also zum Beispiel indigene Maissorten in Mexiko oder auch die über Generationen im Garten kultivierte Tomate in Deutschland. Einzige Bedingung ist, dass sie noch nicht mit geistigen Eigentumsrechten belegt sind.
Wo ist das von OpenSourceSeeds lizensierte Saatgut erhältlich?
Entweder bei den Züchter*innen selbst oder bei Saatguterzeuger*innen. Eine Liste der Sorten und wo ihr sie bekommen könnt findet ihr auf unserer Internetseite.
Wie kann man euer Projekt OpenSourceSeeds unterstützen?
Einmal natürlich, indem man unsere Idee verbreitet. Schaut euch gerne unsere Website an und erzählt anderen von uns oder teilt unsere Beiträge in den sozialen Netzwerken (Facebook, Instagram, Twitter). Ganz praktisch könnt ihr die Open Source Idee verbreiten, indem ihr freie Sorten in eurem Garten anpflanzt oder es an andere verschenkt. Auch für finanzielle Unterstützung sind wir sehr dankbar. OpenSourceSeeds gehört zu einem gemeinnützigen Verein und wir finanzieren unsere Arbeit nur über Spenden und Stiftungsgelder.
Hast du Lese-, Film (Doku) oder Podcast Tipps für unsere Leser und Leserinnen, die sich mit den Themen Saatgut und Sortenerhaltung weiter befassen und selbst aktiv werden möchten?
Ein guter und lockerer Einstieg in das Thema ist das Buch „Saatgut: Wer die Saat hat, hat das Sagen.“ von Anja Banzhaf. Auch das Thema Gemeingüter ist hochaktuell und zukunftsweisend, hier kann ich das Buch „Frei, fair und lebendig: Die Macht der Commons“ von Silke Helfrich und David Bollier empfehlen.
Allen, die nur 90 Minuten Zeit haben, kann ich den Film „Unser Saatgut. Wir ernten, was wir säen.“ ans Herz legen, der nicht nur sehr informativ ist, sondern auch tolle Bilder zeigt und viele inspirierende Menschen vorstellt, die sich für die Bewahrung der Saatgutvielfalt einsetzen.